Sprechstunde „Wer zahlt? Corona & Versicherungen“
Die Sprechstunde Musikwirtschaft ist ein offenes Netzwerkformat für Austausch, Beratung und Problemanalyse. Mit Unterstützung von Expert*innen werden bei regelmäßigen Veranstaltungen Support und Know How für konkrete Fragestellungen und Themen im kleinen Teilnehmer*innenkreis angeboten.
In der Sprechstunde “Wer zahlt? Covid-19 und Versicherungsschutz” am 04.06.2020 gaben uns Niko Härting und David Tekin (HÄRTING Rechtsanwälte), einen Einblick in die unübersichtliche Rechtslage zum Thema Versicherungsschutz und Covid-19. Die Veranstaltung fand in Kooperation mit der Berliner Club- u. Veranstalter-Beratung des Clubcommission Berlin e.V. statt.
Folgend findet ihr eine Zusammenfassung der Inhalte der Sprechstunde:
1. Anspruch gegen die Versicherung
Es gibt grds. zwei Versicherungen die man hier unterscheiden muss:
1) Betriebsunterbrechungsversicherung:
diese knüpft an einen Sachschaden an, welcher zum Beispiel durch Feuer o.ä. verursacht wurde.
Eine Betriebsunterbrechungsversicherung greift bei Corona in aller Regel nicht.
2) Betriebsschließungsversicherung:
diese knüpft an eine behördliche Schließung an. Im Detail sind viele juristische Fragen strittig. Zum Beispiel die Frage, wie die behördliche Anordnung aussehen muss (Einzelverfügung / Allgemeinverfügung / Rechtsverordnung).
Eine Betriebsschließungsversicherung scheint bei Corona in vielen Fällen aber zu greifen. Jedenfalls sollte man die Versicherungsbedingungen von einem Anwalt prüfen lassen.
Die Versicherungsbedingungen beinhalten oftmals pauschal Schließung wegen Seuchen oder Vergleichbares. Sofern etwas andersartiges im Kleingedruckten steht (zB. beschränkter Katalog an Krankheiten, zB. mit Verweis auf das Jahr in dem die Versicherung abgeschlossen wurde), steht dies im Widerspruch zum allgemeinen Schutz gegen Seuchen und hätte vor Gericht wahrscheinlich keinen Bestand.
Man kann daher davon ausgehen, dass zB. Club- oder Gaststättenbetreiber*innen in vielen Fällen einen Anspruch auf die volle Versicherungsleistung haben. In aller Regel sollte man den Vergleichsvorschlag der Versicherung i.H.v. 15% des Schadens (Bayerisches Modell) nicht annehmen.
2. Anspruch auf Entschädigung gegen die Länder
Neben einem Anspruch auf Versicherungsleistung könnte ein Anspruch auf Entschädigung nach dem Infektionsschutzgesetz bestehen bzw. auf Grundlage der Rechtsinstitute „enteignender Eingriff“ oder „enteignungsgleicher Eingriff“.
1) Explizite Ansprüche:
§ 56 I IfSG spricht explizit nur von Trägern von Krankheitserregern. § 56 I a) IfSG gibt einen Anspruch für die Betreuung der Kinder. Für Ansprüche des Arbeitgebers fürs Vorstrecken der Entschädigung gilt eine Frist von 12 Monaten nach dem Ende des entsprechenden Ereignisses, § 56 XI IfSG. Für alle anderen Ansprüche nach § 56 IfSG gilt wohl die allgemeinen Verjährungsfrist von drei Jahren.
2) Rechtsinstitute „enteignender Eingriff“ oder „enteignungsgleicher Eingriff:
Es spricht einiges dafür, dass auch ohne einen expliziten Anspruch im Gesetz, ein Anspruch auf Entschädigung besteht. Details findet man im Beitrag der RA Kanzlei Härting:
Auszug: “Warum spricht § 56 Abs. 1 IfSG dem Zahnarzt, der wegen Ansteckungsgefahr seine Tätigkeit nicht ausüben darf, einen Entschädigungsanspruch zu, nicht jedoch dem kerngesunden Gastronomen, der sein Restaurant seit einem Monat nicht öffnen darf, obwohl kein Ansteckungsverdächtiger dort je gesehen wurde. Lässt sich auch diese Ungleichbehandlung rechtfertigen (Art. 3 GG)?“
Zuständig für Entschädigungszahlungen ist in Berlin die Senatsverwaltung für Finanzen. Diese sagen in einem Email-Autoresponder jedoch, dass man aktuell für Fälle von Betriebsschließungen nicht mit einer Antwort rechnen kann. Allen Betroffenen ist daher zu raten, diese Ansprüche bei den Entschädigungsbehörden, mit Hilfe einer Anwaltskanzlei, anzumelden.
3. Wie hoch ist der Anspruch?
Im behördlichen Verfahren wird der Schaden zunächst geschätzt. Man schätzt also den entgangenen Umsatz von zB. März-Mai 2020 anhand der Umsätze eines Vergleichszeitraums (März-Mai 2019, oder Dez2019-Feb2020 anhand BWA oä.). Davon abgezogen werden alle erhaltenen Leistungen (zB. Soforthilfe, Kurzarbeitergeld usw.).
Neben dem tatsächlichen Schaden durch Umsatzeinbußen, gibt es auch Versicherungen die mit Pauschalen je Tag der Schließung arbeiten.
4. Sollte man die gesamte Summe einklagen?
Das ist abhängig vom Einzelfall. Die Prozesskosten orientieren sich am Streitwert/der Höhe der Forderungen. Teilweise ist es daher empfehlenswert zunächst zB. nur einen Monat einzuklagen. Man hat dann die Hoffnung, dass man sich mit der Versicherungen, wenn sie den Prozess verlieren, für die anderen Monate einigen kann.
5. Wie schnell muss man handeln?
Es gelten die normalen Verjährungsfristen von drei Jahren. Sehr wichtig: Man hat als Versicherungsnehmer jedoch die Pflicht, einen Schaden zu melden. Man sollte also in jedem Fall mit der Versicherung in Kontakt treten. Zudem sollte man seine Unterlagen vorbereiten (BWAs / Belege / Unterlagen).
6. Wie ist das Verhältnis der vertraglichen Ansprüche gegen die Versicherung und des Entschädigungsanspruchs gegen den Staat zueinander?
Eine Überkompensation wird es nicht geben. Man kann also nicht doppelt kassieren. Die Ansprüche gegenüber der Versicherung stehen neben den Entschädigungsansprüchen gegen das Land. „Die Versicherung zeigt mit dem Finger in Richtung des Staates, die Länder zeigen wiederum auf die Versicherung.” Auch wenn man davon ausgeht, dass beide Ansprüche bestehen, sollte man in der Regel nicht beide gleichzeitig gerichtlich durchsetzen – dort ist dann Fingerspitzengefühl gefragt. Ob beide Ansprüche oder nur einer geltend gemacht werden sollte, hängt wieder von den Umständen des Einzelfalls ab.
7. Übernimmt die Rechtsschutzversicherung die Kosten einer Klage?
(Für das Verfahren gegenüber der Versicherung für den Fall einer Betriebsschließung)
Das ist abhängig von der Art der Rechtsschutzversicherung. Man braucht in jedem Fall eine betriebliche Rechtsschutzversicherung. Der Fall der Vertragserfüllung aus der Betriebsschließungsversicherung muss von den Versicherungsbedingungen abgedeckt sein. Bei vielen betrieblichen Rechtsschutzversicherungen ist das zwar mitabgedeckt, dennoch stellen sich viele Rechtschutzversicherungen noch quer. Meist übernimmt die Anwaltskanzlei die Korrespondenz mit der entsprechenden Rechtsschutzversicherung.
8. Für wen gelten diese Informationen?
Für Clubs und Gaststätten mit einer entsprechenden Betriebsschließungsversicherung oder vergleichbare Betriebe. Konzert- oder Festival-Veranstalter*innen, Technikdienstleister*innen oder Booking Agenturen bekommen solche Versicherungsprodukte meistens nicht angeboten, da es dort nicht um das Risiko einer Betriebsschließung geht. Für diese zweite Gruppe ist aber über einen Entschädigungsanspruch gegen das Land nachzudenken (vgl. 2. 2 Rechtsinstitute „enteignender Eingriff“ oder „enteignungsgleicher Eingriff”)
Weitere Informationen
Für weitere Information empfehlen wir die folgenden zwei Beiträge der RA Kanzlei Härting zu lesen:
Außerdem bietet die Kanzlei zur Zeit eine kostenlose Härting-Helpline zu rechtlichen Fragen rund um das Thema Corona an. Sendet dazu eine Email an corona@haerting.de mit ein paar Stichworten zu eurem Fall und einer Telefonnummer für den Rückruf.
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Wir danken Niko Härting und David Tekin für ihre Expertise und allen Teilnehmer*innen für den regen Austausch!
Die nächste Sprechstunde Musikwirtschaft findet am 11. Juni 2020 zum Thema “Mit den Nachwirkungen des Lockdown umgehen. Ein Leitfaden zur Überbrückung von pandemiebedingten Einnahmeeinbußen” statt. Anmeldungen können per E-Mail an sprechstundemusikwirtschaft@berlin-music-commission.de erfolgen.
Die Berliner Club- u. Veranstalter-Beratung des Clubcommission Berlin e.v. wird gefördert durch die Senatsverwaltung für Kultur und Europa, Musicboard Berlin und dem Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung – EFRE “Stärkung des Innovationspotentials in der Kultur –INP-II”.
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